‚No is no answer‘ Babel und Deißler
Am 08. November 2021 trafen sich Lisa Deißler und unsere Ehrenvorsitzende, Frau Dr. Babel, in Wehrshausen, um sich über ihre Erfahrungen im hessischen Landtag und die von Frau Dr. Babel im Bundestag auszutauschen.
Unsere Redaktion hatte die Ehre, live bei dem spannenden Gespräch dabei zu sein. Die Stimmung zwischen Dr. Babel und Lisa Deißler ist gelöst, das spürt man gleich bei der Begrüßung. Die beiden kennen sich schon Jahre, haben manche Diskussion Seite an Seite, auch mal eine gegeneinander geführt. Mittlerweile treffen sie sich in unregelmäßigen Abständen beim Liberalen Frauenstammtisch.
Frau Dr. Babel berichtete zunächst von ihrer Zeit als Vorsitzende des OV Marburgs sowie als Vorsitzende des KV Marburg-Biedenkopf und ihren Eindrücken der FDP der frühen 1980er Jahre.
Lisa Deißler fiebert bei der Erzählung mit. Oft nickt sie bei den Erläuterungen verständnisvoll.
Da viele Mitglieder mit der Haltung von Genscher und Otto Graf Lambsdorff zu verschiedenen Themen nicht zufrieden waren, traten in kurzer Zeit ca. 70 Mitglieder aus dem OV Marburg aus. „Die Vorzeichen waren scheinbar ganz andere, als du in den Landtag eingezogen bist“, wirft Lisa Deißler ein. Sie bittet Frau Dr. Babel, die ganze Geschichte zu erzählen.
Von einem Einzug in den hessischen Landtag hatte niemand zu träumen gewagt, nicht nur weil Mittelhessen der kleinste Bezirk, sondern auch innerhalb des Bezirks der Kreisverband Marburg-Biedenkopf nicht von hoher Relevanz war. „Auch heute ist Mittelhessen noch der kleinste Bezirk im Landesverband“, ergänzt Deißler nickend.
Bis 1987 hatte die FDP 8 Sitze im hessischen Landtag. Aus diesem Grund schien eine Kandidatur aus Marburg heraus ziemlich aussichtslos zu sein.
Die beiden Frauen grinsen und nicken. Lisa Deißler merkt an, dass oft Dinge anders geschehen, als man es sich zunächst ausmalt.
Es sei eine Serie von Wundern gewesen, so Babel, dass Sie zunächst im Bezirk Mittelhessen bei der Listenaufstellung Platz 2 anstelle von Wolfgang Greilich (späterer Vizepräsident des Hessischen Landtages) erringen konnte, später auf dem Landesparteitag 1986 mit 51:49 Prozent den Landeslistenplatz 9 gewinnen konnte und die FDP Hessen schließlich bei der hessischen Landtagswahl am 5.April 1987 mit 7,8% der Stimmen genau 9 Sitze erreichen konnte. Lisa Deißler merkt an, dass Nachwehen ihrer Kandidatur möglicherweise bis ins Hier und jetzt reichen. Die Frauen schauen sich kurz an – man versteht sich. Babel fährt charmant fort.
Im Landtag angekommen wurde ihr der Ausschuss Sozialpolitik zugewiesen, in dem sie sich vor allem mit den Themen Verabreichung von Methadon an Drogensüchtige und dem Rechtsanspruch auf Abtreibung in Notlagen beschäftigte.
Auf die Frage, welche Debatte ihr bis heute besonders in Erinnerung blieb, blickt Frau Dr. Babel kurz aus dem Fenster und berichtet folgendes Ereignis:
Als die Verwaltung in Fulda eine Frau durch bürokratische Hürden davon abhalten wollte, eine Abtreibung vorzunehmen, zeigte Babel sich kämpferisch und fragte im Landtag, ob Fulda denn in der Bundesrepublik Deutschland liege und ob die Verwaltung denn an hier geltendes Recht gekoppelt sei. Besonders mit ihrem Satz, „Im liberalen Hessen ist Fulda ein schwarzes Ärgernis“ zeigte Babel, dass sie trotz der damaligen Schwarz-Gelben Koalition unter Walter Wallmann, sich für die Themen, die ihr persönlich am Herzen lagen, stark macht, unabhängig von politischen Mehrheiten.
Bei der Listenaufstellung für die Bundestagswahl 1990 errang Gisela Babel den 3.Platz in Hessen, wodurch Sie am 20.Oktober 1990 in den ersten wiedervereinigten deutschen Bundestag einzog.
„Damals als Hausfrau “ wirft Lisa Deißler hastig ein. Babel lacht und antwortet „als Einzige“. Dr. Gisela Babel war zu dieser Zeit promovierte Hausfrau mit juristischen Dokortitel. Sie hatte die vergangenen Jahre der Kindererziehung gewidmet, so erschien es ihr nur folgerichtig, diese Berufsbezeichnung anzugeben.
Im Bundestag blieb Frau Dr. Babel, wie sie es selbst beschreibt, auf dem “ steinigen Acker “ der Sozialpolitik und fiel in ihren ersten vier Jahren durch insgesamt 134 Reden auf. In ihrer Arbeit im Ausschuss waren 2 Themen besonders im Fokus: Zum einen die Rentenüberleitung von den Versorgungssystemen der mittlerweile ehemaligen DDR in die Rentenversicherung der Bundesrepublik. Zum anderen die gesetzliche Pflegeversicherung. Beides erarbeitete sie sich in vertrauensvoller Gegnerschaft zu Minister Blüm.
Lisa Deißler nickte oft zustimmend während des Berichts und nahm den Faden auf. “Ja, die Sozialpolitik wird bei der FDP oft in eine Nische gedrängt. Jetzt hat sie sich aber bei einem wichtigen Punkt in den Verhandlungen der neuen Koalition durchgesetzt: einer zusätzlichen Säule der Rentenversicherung durch den Aufbau eines kapitalgedeckten Anteils des Rentenanspruchs. Das ist eine Pioniertat und wird der Stabilität der Rentenversicherung zugutekommen. “
Bei der Bundestagswahl 1994 zog Dr. Gisela Babel erneut über Platz 3 der hessischen Landesliste in den deutschen Bundestag ein und wurde die sozialpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion nachdem der vorherige Sprecher, Dieter-Julius Cronenberg, aus dem Bundestag ausgeschieden war. 1998 entschied sich Gisela Babel gegen eine erneute Kandidatur.
„Eine Letzte Frage: “, begann Lisa Deißler. „Wie stand es denn damals mit der Haltung der FDP zur Gleichberechtigung von Mann und Frau? “
Frau Dr. Babel entgegnete: „Ich habe leider die Erfahrung machen müssen, dass Frauen in der Politik sich leider zu oft gegenseitig bekämpfen statt miteinander zu arbeiten. Das ist absolut kontraproduktiv und hält talentierte Frauen davon ab, Verantwortung zu übernehmen.“
Lisa Deißler nickt. Sie entgegnet: „Ich muss gestehen, meine Meinung zu diesem Thema hat sich auch komplett geändert. Früher konntest du mich mit Frauenstammtischen jagen, mittlerweile habe ich und zum Glück auch viele andere Frauen, erkannt, wie wichtig das Netzwerken unter Frauen ist.“ Die beiden Frauen tauschen einen langen Blick aus.
Als Frau Dr. Babel 1990 in den Bundestag einzog lag der Anteil der Frauen in der FDP-Bundestagsfraktion bei 20,3%. Etwas mehr als 30 Jahre später liegt der Anteil bei grade einmal 23,9%.
Die Sonne bahnt sich ihren Weg durch die Wolken und taucht den schönen Garten in ein goldenes Licht. Da beschließt das ungleiche Gesprächspaar, ihren Austausch an der frischen Luft fortzusetzen.
Unserer stellvertretenden Vorsitzenden und Landtagsabgeordneten, Deißler empfahl Babel, für ihren weiteren politischen Weg stark auf ihre Gesundheit zu achten und immer hartnäckig zu bleiben, vor allem bei den Themen die einem selbst wichtig sind. Frei nach ihrem Lebensmotto: „No is no answer.“
Das Zitat gefällt Lisa Deißler, sie verspricht es zu beherzigen und die Ratschläge zu berücksichtigen.
Nach dem Gespräch, waren wir als Redaktion neugierig zu erfahren, was Lisa Deißler aus dem Gespräch mitgenommen hat. Sie entgegnete: „Gisela Babel zeigte mir, wie viel Kraft, Hartnäckigkeit und Nervenstärke ich brauchen werde um in diesem Job gut zu sein. Sie betonte sehr stark, wie spannend und erlebnisreich ihre Arbeit sowie die damit verbundenen Höhen und Tiefen waren. Politik ist ein Handwerk, das man erlernen muss.“ Sie stoppt für einen Moment, lächelt und fährt fort: „Aber man kann es erlernen und am Ende hat sich die ganze Mühe für Gisela Babel gelohnt und das motiviert mich für meine Arbeit im Landtag.“
Über Gisela Babel:
Dr. Gisela Babel war von 1987 bis 1990 war Mitglied des Hessischen Landtages und dort sozialpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion. Von 1990 bis 1998 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Dort war sie von 1992 bis 1998 Vorsitzende des Fraktionsarbeitskreises II Arbeits-, Sozial-, Jugend-, Frauen-, Familien-, Senioren- und Gesundheitspolitik sowie sozialpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. Bis 2015 gehörte Gisela Babel dem Kuratorium der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit an. Heute ist Sie Ehrenvorsitzende der FDP Marburg.